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Allgemein Barrierefrei Experten-Interview Generationengerecht
23. Dezember 2023
Viele gute Lösungen sind oft nicht bekannt: Portraitfoto von Tanja Buß

Viele gute Lösungen sind oft nicht bekannt

Interview mit Tanja Buß

(dh-abb) Zahlreiche Menschen leben in Wohnungen, die ihren Bedürfnissen nicht gerecht werden. Auf rund 2,2 Millionen Haushalte bezifferte das Pestel-Institut im April diesen Jahres den aktuellen Fehlbestand an altersgerechten Wohnungen allein für Senioren. Dieser Mangel wird sich aufgrund des demografischen Wandels in den nächsten Jahren zunehmend verschärfen. Lösung dieses Problems kann nur die Schaffung barrierefreien Wohnraums sein.

Tanja Buß ist Architektin und leitet das Geschäftsfeld bfb barrierefrei bauen bei Rudolf Müller Medien. Die bfb-Angebote umfassen neben Fachbüchern und Seminaren rund um das barrierefreie Bauen auch die Infoseite www.bfb-barrierefrei-bauen.de mit kostenlosen Arbeitshilfen, Checklisten und monatlichem Newsletter. Mit Tanja Buß haben wir ein Interview zum Thema „Barrierefreies Wohnen“ geführt.

Aktion Barrierefreies Bad: Frau Buß, wie eine Wohnung auszusehen hat, um sich „barrierefrei“ nennen zu dürfen, ist in der DIN 18040-2 genau definiert. Können Sie unseren Lesern bitte erklären, was es mit ihrer Rechtsverbindlichkeit auf sich hat?

Tanja Buß: Bauen ist Ländersache, d.h. jedes Bundesland regelt über seine Landesbauordnungen die geforderten Mindeststandards, auch in Bezug auf Anzahl und Ausstattung barrierefreier Wohnungen. Die DIN 18040 ist in allen Bundesländern, außer Berlin, bauaufsichtlich eingeführt, muss also ab einer bestimmten Gebäudeklasse beachtet werden. Allerdings gilt die Norm nicht komplett, sondern mit zahlreichen länderspezifischen Ausnahmen und Besonderheit.

Gilt diese Barrierefrei-Norm auch für den Bestandsbau?

Buß: Prinzipiell geht es in DIN 18040 um Neubauten. Sie kann sinngemäß aber auch für Umbauten oder Modernisierungen angewendet werden.

Warum sollte der private Bauherr barrierefrei bauen bzw. umbauen?

Buß: Wir werden alle älter, auch wenn man das gern verdrängt. Vorausschauendes, barrierefreies Bauen kann helfen, länger in der eigenen Wohnung zu verbleiben, auch wenn man Unterstützung benötigt. Und das wollen die allermeisten Menschen im Alter.

Kosten barrierefreie Bäder mehr Geld?

Buß: Mehr Ausstattung und mehr Platz kosten auch etwas mehr Geld, bringen aber auch mehr Komfort. Vieles ist auch kostenneutral bzw. mittlerweile Standard, wie beispielweise niveaugleiche Duschen. Vieles lässt sich auch vorrüsten (z.B. Haltegriffe), so dass man im Fall der Fälle einfach nachrüsten kann.

Wenn man sich mit der DIN 18040-2 näher beschäftigt, so stellt man fest, dass es bei den Vorgaben zum Badezimmer neben „Muss“ auch ein „Soll“ gibt. So heißt es beispielsweise zum Thema visuelle Barrierefreiheit: „Die Ausstattungselemente sollten sich kontrastierend von ihrer Umgebung abheben…“ Ist das „Soll“ im Sinne von „Kann“ zu verstehen oder gibt es eine andere Definition?

Buß: Ob eine Normanforderung bindend ist oder lediglich empfehlenden Charakter hat, ist genau definiert. Trotzdem gibt es dazu häufig Missverständnisse. Wie „muss“, „sollte“ und „kann“ zu verstehen sind, erklärt dieser bfb-Onlinebeitrag.
Aber jenseits aller Vorschriften: Eine kontrastreiche Gestaltung hilft allen, die schon einmal im Dunkeln ins Bad getappt sind. Und gut gestaltet, sieht das Ganze auch sehr ansprechend aus.

Welche Möglichkeiten gibt es, wenn das vorhandene Bad zu klein ist?

Buß: Ist das Bad im Bestand zu klein, wird es oft schwierig. Vielleicht kann eine Wanne durch eine bodengleiche Dusche ersetzt werden. Oder das ganze Bad wird zur gefliesten Duschfläche. Feste Duschabtrennungen können durch flexible Abtrennungen ersetzt werden. Oft hilft aber nur das Versetzen von Wänden, und dann wird es aufwändig.

Wo kann der private Bauherr kompetente Beratung hinsichtlich barrierefreier Bäder erhalten?

Buß: Die Wohnberatungsstellen sind hier gute Ansprechpartner. Für komplexere Projekte empfehle ich unsere bfb-Expertendatenbank.

Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei der Schaffung von barrierefreien Neubau- oder Altbauwohnungen?

Buß: Im Bestand sind die Möglichkeiten begrenzt. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels sollten im Neubau aber eigentlich keine nicht-barrierefreien Wohnungen mehr entstehen. Das heißt nicht, dass alles mit rollstuhlgerechten WCs und Blindenleitsystemen ausgestattet sein muss. Essenziell sind aber die Vermeidung von Stufen und Schwellen sowie ausreichende Bewegungsflächen. Alles weitere kann dann bei Bedarf angepasst bzw. ergänzt werden.

Haben Hersteller in den letzten zwei Jahren innovative Produkte für barrierefreie Bäder auf den Markt gebracht?

Es gibt mittlerweile eine breite Palette an wirklich gut gestalteten Produkten, denen man die Barrierefreiheit nicht ansieht. Fast noch wichtiger ist aber genügend Platz im Bad. Nur wenn genügend Bewegungsflächen vorhanden sind, kann man z.B. mit einem Rollator, Rollstuhl oder unterstützt durch eine weitere Person im eigenen Bad zurechtkommen.

Müssen Hersteller, Designer, Architekten und Handwerker mehr tun, um dem Negativ-Image eines barrierefreien Bades entgegenzuwirken?

Buß: Die Entscheidung der Bauherren für ein barrierefreies Bad kommt leider oft zu spät, nämlich erst dann, wenn man darauf angewiesen ist. Hier ist Überzeugungsarbeit wichtig. Wie gesagt, es gibt bereits viele gute Lösungen, die aber oft nicht bekannt sind: Waschtische mit integrierten Haltegriffen, flexible Duschabtrennungen, bodengleiche, rutschfeste Duschen, kombinierte Duschstangen mit Haltegriffen, Dusch-WCs etc. Wichtig ist, das Ganze richtig zu kombinieren und so anzuordnen, dass genug Bewegungsraum bleibt. Wände sollten tragfähig sein, um Haltegriffe nachrüsten zu können. Wenn dann noch eine gute, flexible Beleuchtung und eine kontrastreiche Gestaltung hinzukommen, ist man für einen späteren Bedarfsfall bereits gut gerüstet.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Buß.

Unser Aufmacherfoto zeigt Tanja Buß.