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Allgemein Barrierefrei Experten-Interview Generationengerecht
17. Mai 2024
Barrierefreiheit muss umgesetzt werden: Portraitfoto von Willi Sutter

Barrierefreiheit muss umgesetzt werden

Interview mit Willi Sutter

(dh-abb) Der Umbau zu einem barrierefreien Bad in einem älteren, historischen oder gar denkmalgeschützten Gebäude birgt oft vielerlei Hindernisse. Die Baugenossenschaft bogenständig eG hat sich insbesondere auf den Umbau solcher Bestandsbauten fokussiert und einen reichen Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet.

Willi Sutter ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Vorstandsmitglied dieser regional tätigen Baugenossenschaft mit Sitz in Freiburg. Ihr Ziel ist es, bezahlbare Lebensräume zu schaffen, beispielsweise für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen.

Aktion Barrierefreies Bad: Herr Sutter, bevor wir näher auf das Thema Bäder zu sprechen kommen, hätten wir gern gewusst, wie sich Ihre Baugenossenschaft von anderen unterscheidet.

Willi Sutter: Baugenossenschaften schaffen normalerweise Wohnraum für ihre Mitglieder. Bogenständig sieht sich aber verpflichtet, Wohnraum für Menschen mit speziellen Problemen auf dem Wohnungsmarkt zu schaffen. Dies sind Menschen mit Einschränkungen jeder Art und oft mit geringem Einkommen.

Wer sind Ihre Mitglieder?

Sutter: Unsere Mitglieder sind Menschen, die unsere Projekte fördern wollen und unsere sozialen Ziele unterstützen. Dazu gehören auch Kommunen und Träger der Wohlfahrtspflege.

Welche Ziele hat Ihre Genossenschaft?

Sutter: Vor allen Dingen Räume für Menschen zu schaffen, die bezahlbar sind, aber auch ein gutes Miteinander und eine soziale Durchmischung gewährleisten. Wir sehen immer wieder, wie eine gesunde Mischung das Miteinander fördert und das Zusammenleben erleichtert.

Die Baukosten sind in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt und die Zinsen sind stark gestiegen. Dies führte dazu, dass viele Bauprojekte storniert wurden, weil diese für die Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich waren. Was machen Sie anders und wie erreichen Sie mit Ihrer Baugenossenschaft die nötige Wirtschaftlichkeit?

Sutter: Vor allen Dingen dadurch, dass wir unsere Projekte größtenteils in Altbauten verwirklichen. Hier sind die Förderbedingungen besser als beim Neubau, und die Kosten von Umbauten sind geringer als die von Neubauten. Dazu kommt die Mischkalkulation. Wenn wir Ankermieter haben, die höhere Mieten bezahlen können, schlägt sich dies positiv auf die Mieten der Menschen nieder, die nur geringe Mieten bezahlen können.

Für wen bauen Sie?

Sutter: Unser Angebot ist vielfältig. Es richtet sich beispielsweise an Jugendliche mit Unterstützungsbedarf, Menschen mit geistigen, körperlichen oder psychischen Behinderungen, ältere Menschen mit Pflegebedarf und an Demenz erkrankte Menschen. Außerdem gibt es Wohngruppen für Auszubildende und auch für Mütter mit ihren Kindern. Um allen einen möglichst hohen gesellschaftlichen Nutzen zu bieten, finden sich in unseren Projekten aber auch Kneipen, Räume für Kunst und Kultur oder Arztpraxen. Wie gesagt, die Mischung macht‘s aus.

Seit 2003 haben Sie viele ganz unterschiedliche Projekte realisiert. Können Sie uns an einem Beispiel aufzeigen, wie der von Ihnen gewünschte Nutzungsmix aussieht?

Sutter: Gerade sanieren wir ein altes Schloss in Heitersheim. Dort kommt sehr viel zusammen. Neben klassischem Wohnraum gibt es betreutes Wohnen für Jugendliche mit Unterstützungsbedarf, ein Pflegeheim für alte Menschen, Wohnen für Menschen mit Behinderungen, Flüchtlingswohnen, Azubiwohnen, Kitas, Ärzte, eine Tanzschule, ein Museum, eine Gaststätte mit Kultursaal und eine Scheune, die zum Tourismusprojekt umgebaut wird. Da wird Leben in vielfältigster Art möglich sein.

Wie ist dieses Projekt zustande gekommen?

Sutter: Es gab in Heitersheim einen großen Streit, weil chinesische Investoren aus dem Malteserschloss – dem Wahrzeichen der Stadt – eine internationale Privatschule machen wollten. Als das Projekt scheiterte, stand die Stadt vor einem Scherbenhaufen. Durch eine Projektentwicklung wurde aufgezeigt, dass eine soziale Nutzung, wie oben angedacht, möglich ist. Wir haben uns dann um das Projekt beworben und den Zuschlag bekommen.

Da sich Ihre Wohnprojekte auch an Ältere oder Menschen mit Behinderungen richten, müssen insbesondere die Badezimmer barrierefrei gestaltet sein. Auf welche Schwierigkeiten stoßen Sie beim Umbau der in die Jahre gekommenen Immobilien?

Sutter: Problematisch ist es insbesondere, die Duschen bodeneben auszuführen, da im Altbau meist die Aufbauhöhe fehlt. Oftmals reicht der bestehende Grundriss des alten Bades nicht aus, um es barrierefrei umzubauen. Dies bedeutet weitergehende Eingriffe in die Bausubstanz.  Häufig zeigt sich, dass eine Verlegung des Bades mehr Sinn macht, als der Abbruch von Wänden und damit statische Veränderungen. Das Bad komplett neu an anderer Stelle zu installieren kann oftmals sinnvoller und billiger sein.

Wie lösen Sie die auftretenden Probleme?

Sutter: Knowhow und Erfahrung lösen Probleme jedoch in den meisten Fällen. Wichtig ist dabei, nicht gegen sondern mit dem Bestand zu arbeiten. Dies spart Kosten. Wie schon ausgeführt muss der richtige Standort des Bades abgeklärt werden, um möglichst substanzschonend zu arbeiten. Bei geringen Aufbauhöhen gibt es inzwischen sehr flache Bodenabläufe und auch Trockenbausysteme, die mit geringem Aufbau funktionieren. Bei allen Maßnahmen ist es wichtig, teure statische Maßnahmen zu vermeiden und bei der Planung darauf zu achten, Leitungswege kurz zu halten.

Welche Personen beraten Sie bezüglich der Umbaumaßnahmen?

Sutter: Es ist wichtig, mit erfahrenen Architekturbüros zu arbeiten. Noch wichtiger sind aber die Menschen, die die barrierefreien Räume brauchen. Sie wissen am besten, was sinnvoll ist und was nicht. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, die Nutzer frühzeitig einzubinden. Trotzdem sollte der Umbau immer auch so gestaltet werden, dass er sich geänderten Bedürfnissen anpassen kann. Zum Beispiel muss der Unterbau der Wände für den späteren Einbau von Haltegriffen und Sitzen vorbereitet sein, um bei zunehmender Behinderung nicht wieder gravierend in die Substanz eingreifen zu müssen. Der Grundriss und die Anordnung der Sanitärgegenstände müssen außerdem so gestaltet werden, dass die Nutzung auch für einen Rollstuhl geeignet ist, selbst wenn dieser beim Bau des Bades noch nicht gebraucht wird.

Welche Anforderungen haben Sie an das Handwerk im Allgemeinen und das im Sanitärbereich?

Sutter: Mitdenken ist die Anforderung schlechthin. Gemeinsam denken und Austausch auf Augenhöhe. Wenn verstanden wird, warum etwas im Sinne der Nutzer realisiert werden muss, dann ziehen alle an einem Strang. Dies ist zumindest unsere Erfahrung. Lösungen werden gefunden, wenn das Verständnis dafür da ist, warum die Lösung gebraucht wird.

Richten Sie sich beim Umbau der Bäder immer nach der DIN 18040 oder fließen auch andere, vielleicht weitergehende Aspekte in die Planungen mit ein?

Sutter: Die DIN ist ein Instrument, das Standards festlegt. Die Menschen bewegen sich aber nicht in der DIN, die Nutzer denken nicht in der DIN, sie haben Bedürfnisse, die oft darüber hinausgehen, manchmal aber auch darunter liegen. Deswegen kann ich immer nur wieder betonen, dass die Einbeziehung und Beratung von Betroffenen die wichtigsten Instrumente bei der Planung sind.

Was ist Ihnen beim Umbau der Bäder besonders wichtig?

Sutter: Ausreichend Bewegungsflächen, genügend Stromanschlüsse, gutes Beleuchtungskonzept, kontrastreiche Gestaltung, multifunktionale Produkte, höhenverstellbare Waschbecken und Toiletten, gute Belüftung, Haltegriffe sowie pflegeleichte Produkte. All diese Gesichtspunkte spielen, je nach Nutzung und Bewohnerschaft, eine Rolle.

Setzen Sie in Ihren Bädern auch auf Smart Home?

Sutter: Da bin ich kritisch. Zuhause wollte mir mein Elektriker etwas Gutes tun und hat Smart Home eingebaut. Oft verzweifle ich daran. Das Programmieren ist nicht ohne Spezialisten möglich. Andererseits bietet Smart Home gerade für Menschen mit Behinderungen intelligente Steuerungsmöglichkeiten. Ich denke auch hier liegt in einer vernünftigen Ausgestaltung die Lösung. Auf jeden Fall muss ein solches System einfach und leicht zu bedienen sein.

Aus Erfahrung lernt man. Fast jeder, der schon einmal umgebaut hat, würde im Nachhinein dieses oder jenes anders machen. Wie haben sich die Umbaumaßnahmen Ihrer barrierefreien Bäder in den letzten 20 Jahren verändert und was hat sich als nicht sinnvoll bzw. als sehr sinnvoll erwiesen?

Sutter: Früher hat man nicht so sehr auf die Abdichtung geachtet, dies hat langfristig zu Schäden geführt. Hier ist die Entwicklung inzwischen viel weiter. Es gibt bessere Systeme und auch Abläufe, die mit geringen Bodenaufbauhöhen funktionieren. Das ist ein echter Fortschritt. Natürlich gibt es auch bessere Einrichtungsgegenstände für die Nutzer, beispielsweise im Bereich von Armaturen oder Waschtischen.

In Ihren Projekten gibt es auch Pflegebäder. Worin unterscheiden sich diese gegenüber den anderen barrierefreien Bädern und worauf haben Sie hier besonders geachtet?

Sutter: Pflegebäder brauchen andere Bewegungsflächen und mehr Raum. Ob eine Pflegebadewanne notwendig ist, muss geprüft werden. Früher war das üblich, heute wird das selbst in Altersheimen nur noch untergeordnet genutzt.

Können Sie dem privaten Bauherren, der sein in die Jahre gekommenes Bad barrierefrei umbauen möchte, 5 Tipps geben?
  • Ihr Bad sollte gut erreichbar sein, wichtig ist die Nähe zum Schlafplatz.
  • Achten Sie darauf, welche Türe Ihnen liegt. Oft erleichtert eine Schiebetüre die Nutzung. Diese in der Wand zu versenken, bietet Vorteile.
  • Wenn Sie noch keine Haltegriffe benötigen, sorgen Sie beim Herstellen der Wände dafür, dass diese nachträglich montiert werden können. Die Tragfähigkeit für die Befestigung muss gegeben sein.
  • Die Aufteilung sollte für Sie passen. Überlegen Sie genau, wo die Einrichtungsgegenstände für Sie richtig platziert sind. Häufig wird dies sehr unterschiedlich gesehen.
  • Prüfen Sie die Toilettenhöhe. Oft wird diese zu niedrig montiert.


Zum Schluss würden wir gern noch von Ihnen wissen: Was wünschen Sie sich von den Menschen im Allgemeinen, den Behörden, der Politik sowie Herstellern und Handwerkern im SHK-Bereich?

Sutter: Für alle gilt: Nicht die eigene Haltung als die allein selig machende zu sehen. Gesetze und Vorschriften sollten außerdem nicht im Kämmerlein gezimmert werden. Gut ist es, sich in die Lage des Nutzers zu versetzen und am besten ist es, diesen einzubeziehen. An Barrierefreiheit zu denken oder über Barrierefreiheit zu reden reicht nicht. Sie muss umgesetzt werden! Denn letztlich werden wir alle alt und in vielen Fällen in irgendeiner Form beeinträchtigt sein. Manchmal glaube ich, dass dies vergessen oder verdrängt wird.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Sutter.

Unser Aufmacherfoto zeigt Willi Sutter.