Ein wunderbares Wort und Produkte, die dafür stehen
Lebenslaufbeständig
(red-abb) Zuerst Irritation. Lebenslaufbeständig, ein Druckfehler? Dann die Erklärung: Die neue Überschrift für gutes Design, das für alle gemacht ist, hat ihren Ursprung im Niederländischen.
„Im Umgang mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Gesellschaft ist unser Nachbarland einfach unverkrampfter“, sagt Michael Schlenke. Im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stieß der Inhaber und Gründer des auf die Strategie- und Produktentwicklung spezialisierten Beratungsunternehmens The Caretakers auf das für ihn wunderbare Wort „levensloopbestendig“.
Lebenslaufbeständige Architektur und Produktentwicklung, die Menschen unabhängig von Alter und Handicap das Älterwerden erleichterten, dafür habe man in den dichter besiedelten und internationaler aufgestellten Niederlanden ein besonderes Händchen, so das Mitglied im iF Industrie Forum Design. Auch der Umgang mit Menschen, die Pflege bräuchten, sei definitiv ein anderer und allein schon daran zu erkennen, dass Pflegeheime zum Stadtbild dazugehörten und nicht wie in Deutschland eher außerhalb lägen.
Gutes Produktdesign nicht die Norm
Zu den weiteren Vorbildern zählt Schweden. Dort wurde aus der Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Baulichem und Ausstattung einer- und der Gesundheit andererseits schon früh der Begriff „Healing Architecture“. Heute widmet man dem Fachausdruck, der für Heilen mit gebautem Raum steht, unzählige Studien. Kurz umfasst integriert das Konzept alle für das Wohlbefinden relevanten Aspekte wie Orientierung, Materialien, Farben oder Gerüche. Noch dazu gelten sowohl Privatsphäre als auch der Abbau von Vorurteilen und Ängsten gegenüber „Gesundheitsimmobilien“ als wichtige Aufgaben im Zuge von Planungen.
In jedem Fall von großer Bedeutung ist gutes Produktdesign, das laut Fritz Frenkler „bei weitem noch nicht die Norm ist“. So schreibt das Gründungsmitglied von universal design e. V. mit Sitz in Hannover im Begleitband zu der im Frühjahr 2013 im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main gezeigten Ausstellung „Netzwerk Wohnen, Architektur für Generationen“: „Wir müssen feststellen, dass 70 Prozent der existierenden Produkte nicht funktionieren. Eine komplexer werdende Welt hat den Mensch versucht mit ebenso komplexer werdenden Technologien zu beherrschen. Anstelle von etwas Einfachem für alle entsteht dadurch Kompliziertes für wenige.“
Lösungen für die Bestandssanierung
Seit geraumer Zeit beschäftigt sich der Professor für Industriedesign an der TU München mit dem generationengerechten Umbau kleiner Bäder. Auf Initiative seines Lehrstuhls und des Berliner Architekturbüros Feddersen arbeitet die Forschungsgruppe „Der Raum – das Bad“ an lebenslaufbeständigen Badlösungen für die Bestandssanierung in der Wohnungswirtschaft. Das Ziel: eine nutzerorientierte und preisbewusste Gestaltung. Über sie sollen speziell ältere Menschen zu Hause selbstbestimmt wohnen können, ohne auf Komfort, Unterstützung und Sicherheit zu verzichten.
Zu den Industriefirmen, die das Projekt unterstützen, gehören auch Hansa, Kermi, Pressalit und Villeroy & Boch. Das Traditionsunternehmen hat sich zwecks der Konzept- und Produktentwicklung im Bereich des altersgerechten bzw. barrierefreien Baddesign mit Anna Schaffelhuber sogar den prominenten Rat einer Betroffenen eingeholt. Die sympathische Athletin gewann allein bei den Paralympics in Sotschi 2014 fünf Goldmedaillen.
Hilfen subtil und unsichtbar einbauen
Zu „Der Raum – das Bad“ steuert Villeroy & Boch Sanitärobjekte der Kollektion „Omnia Architectura“ bei. Ihre Elemente lassen sich zu vielfältigen barrierefreien Lösungen kombinieren. Der Waschtisch wurde so entwickelt, dass er in generationsübergreifenden Bädern eingesetzt werden kann, mit breiter Ablagefläche und seitlichen, unsichtbar in die Waschtischunterseite integrierten Griffleisten. Als sichere Lösung für Rollstuhlfahrer gibt es ein auf 71 cm verlängertes Wand-WC inklusive einem mit Spezialpuffer gegen seitliches Verschieben ausgestatteten Sitz.
Bei der Produktentwicklung, sagt der Universal Design-Experte Michael Schlenke, der den Mettlacher Hersteller beim Eintritt in den Healthcare-Bereich begleitet(e), gehe es in erster Linie immer darum, die unterstützenden Hilfen ganz subtil und unsichtbar einzubauen anstatt „marktschreierisch“ ein Möbel für Menschen mit einem Defizit anzupreisen. Auch Assistenzsysteme sollten seiner Ansicht nach möglichst so unsichtbar eingesetzt werden, dass sie von Menschen jeden Alters und Handicaps als angenehm empfunden werden.
Bedürfnisse aller Nutzer treffen
Ansprüche, denen die Waschtisch- und WC-Module der Linie „S 50“ unbedingt gerecht werden, denn sie lassen sich per Funkfernbedienung stufenlos in ihrer Höhe individuell an die Bedürfnisse aller Nutzer anpassen und dürften damit eigentlich fast jedem gefallen. Die erst kürzlich mit dem vom Rat für Formgebung vergebenen Iconics Awards 2015 in der Kategorie Produkte ausgezeichnete Lösung von HEWI basiert auf zwei Komponenten: einer Vorwandinstallation, die in der Rohbauphase montiert wird, sowie einem Fertigbauset, das sich aus den jeweiligen Funktionselementen und abschließenden Acrylglasfronten zusammensetzt.
Wie selbstverständlich barrierefreie Aspekte
Auch das Bad-Mobiliar „M 40“, ebenfalls ein Produkt des Herstellers aus Bad Arolsen, der als erstes Unternehmen in Deutschland das Konzept der Barrierefreiheit im Bereich der Badausstattung angewandt hat, beinhaltet wie selbstverständlich barrierefreie Aspekte. Die Schrank-Module sind sowohl im Stehen als auch im Sitzen nutzbar. Das mobile Sitz-Modul sorgt für zusätzlichen Komfort am Waschtisch und bietet unter der Sitzfläche Platz für Badutensilien. Ein barrierefreier Hochliftschrank lässt sich automatisch öffnen und schließen. Zudem gibt es einen praktischen Auszugsschrank, der auf die erforderliche Höhe neben dem Waschtisch montiert werden kann – für Stauraum in greifbarer Nähe. Durch sogenannte Push-To-Open-Technik lässt sich das Modul ohne großen Kraftaufwand öffnen und schließen.
Für das Bad-Mobiliar „M40“ und die höhenverstellbaren Waschtisch- und WC-Module wurde HEWI jetzt auch mit dem iF Design Award 2016 prämiert. Zu den Bewertungskriterien der vom iF Industrie Forum Design e.V. vergebenen Auszeichnung zählen neben der Gestaltung auch Innovationsgrad, Ergonomie, Funktionalität sowie Umweltaspekte.
Prinzip der Unauffälligkeit
In die Reihe der Lösungen, die sich problemlos in Badezimmer integrieren lassen und dort den Alltag erleichtern können, wenn die Mobilitätseinschränkung im Alter größer wird, reihen sich auch die stabilen und zugleich schicken Klappsitze und Duschstühle aus der Care Comfort-Linie des dänischen Anbieters Pressalit ein. Vor allem garantieren die sowohl höhenverstellbar oder fix montierbar zur Verfügung stehenden Helfer immer dann die benötigte Unterstützung, wenn sie gebraucht wird – und das generationenübergreifend.
Für alle Menschen gemacht und selbstverständlich sind auch Gestaltungslösungen mit Griffen. Hinter Serien wie „Plan Care“ von Keuco oder „freeline“ von SAM steckt das vom Universal Design kommunizierte Prinzip der Unauffälligkeit. Danach sollen Halt und Sicherheit Teil des Lebens sein, ohne dass darüber besonders nachgedacht wird.
Bodenebene Nachhilfe für barrierefrei
Ebenfalls zu einem festen Bestandteil einer vorausschauenden Badplanung ist der bodenebene Duschplatz geworden. Mehr noch: Der Trend dazu half bzw. hilft dem Thema „lebenslaufbeständig“, weil er zeigt, dass barrierefrei hip und schick sein kann. Für den (Renovierungs-)Fall, dass bauseits zu wenig Fußbodenhöhe für eine bodenbündige Dusche zur Verfügung steht, hält der Markt u. a. das befliesbare „Point Komplettboard E65“ von Kermi mit insgesamt nur 65 mm Bauhöhe bereit. Durch einen werkseitig vormontierten Ablauf punktet die Innovation mit einfachem und schnellem Einbau. Der SHK-Fachmann muss vor Ort lediglich den Ablauf mit dem Ablaufrohr verbinden. Das mit mindestens 2 % ideale Gefälle zur Abführung von Duschwasser gibt das Board schon vor. Bei der Belegung mit einer Fliesengröße von mindestens 5 x 5 cm ist der Duschplatz uneingeschränkt mit Rollstühlen befahrbar.
Eine andere Lösung, die fehlendes Gefälle kompensieren und selbst bei hohen Durchflussmengen zuverlässig entwässern kann, basiert auf einer kleinen, sehr flachen Bodenablaufpumpe des Herstellers Pentair Jung Pumpen namens „Plancofix“. Während es oberhalb der Duschfläche kräftig braust, füllt sich darunter ein Unterflurtank, und die Pumpe startet über einen Schwimmer. Die genaue Funktionsweise zeigt eine Animation auf youtube.
Mit Sicherheit Komfort
Zu den Mehrgenerationen-Lösungen zählen auch berührungslose Armaturen, die Komfort mit Sicherheit und Hygiene paaren. Nähert man sich dem sensorgesteuerten Modell „Hansaconcerto“ mit den Händen, fließt automatisch Wasser – immer in der richtigen Menge und immer in Wohlfühltemperatur auf 38 Grad Celsius voreingestellt. Verbrühungen sind somit ausgeschlossen. Da für die Bedienung kein direkter Kontakt nötig ist, werden auch keine Bakterien übertragen. Das macht die Nutzung laut Hersteller Hansa besonders hygienisch.
Beispielhafte Orientierung
Abschließend passt die Bezeichnung „lebenslaufbeständig“ gut zu „Renova Nr. 1 Comfort“. Die nach DIN 18040 zertifizierte Linie von Keramag überzeugt etwa mit einem Möbelprogramm, das über Farbkontraste zwischen Oberflächen und Blenden Menschen mit Seheinschränkungen – insbesondere in farbneutralen Bädern – die Orientierung erleichtert. In die 10 cm tiefen Türen der Schränke sind Ablagen integriert, die zusätzlichen, leicht erreichbaren Stauraum für Dinge des täglichen Bedarfs bieten. Der große Waschtischunterschrank wurde in Kombination mit Böden, die einen Ausschnitt im Frontbereich aufweisen, speziell für sitzende Nutzer bis hin zum Rollstuhlfahrer konzipiert. Durch den Rücksprung der Borde finden die Beine bei geöffneten Schranktüren bequem unter dem Waschtisch Platz.
Ein Beispiel übrigens, das zeigt, dass es häufig gar nicht nötig ist, einen speziellen Reha-Waschtisch auszuwählen. Dieser nämlich strahlt den unerwünschten Krankenhaus-Charme aus und kostet mitunter sogar viel mehr. Das Beispiel verdeutlicht außerdem, dass es bei der barrierefreien Planung und Ausstattung nicht um die Integration bestimmter Gruppen geht. Vielmehr gilt es, von vornherein gesellschaftliche Entwicklungen und ergonomische Bedürfnislagen insgesamt einzubinden und allgemeingültig und anpassungsfähig zu gestalten. Eben lebenslaufbeständig – ein wunderbares Wort.